Offener Brief an das Justiz-Ministerium
Herrn Bundesminister der Justiz
Sehr geehrter Herr Minister Maas,
in tiefer Sorge wenden wir uns an Sie, da die Ihre Regierung stützenden Parlamentsfraktionen (scheinbar) einen Gesetzentwurf eingebracht haben, der schon am 15.12.2016 um 23 Uhr im Deutschen Bundestag beraten werden soll. Tatsächlich handelt es sich um ein Vorhaben, das im Bundesministerium für Arbeit und Soziales auf Bestreben der an einem solchen Gesetz interessierten Verbände auf den Weg gebracht worden ist. Worum geht es?
Es soll ein Urteil des BAG vom 21.9.2016 rückgängig gemacht werden, in dem das BAG die Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) für das Baugewerbe in einigen Jahren als nichtig erklärt, weil die selbst erstellten Bedingungen nicht erfüllt hatte. Es geht um das Sozialkassen Sicherungsgesetz, dass die problematischen AVEs 10 Jahre rückwirkend wieder für rechtens erklärt werden, obwohl nachweislich die Bedingungen nicht erfüllt wurden.
Einige der wesentlichen Bedingungen, nach dem § 5 TVG, wie er bis August 2014 galt, durfte das BMAS die AVE nur aussprechen, wenn die tarifgebundenen Arbeitgeber (hier also: mittelbar oder unmittelbar in HDB und/oder ZDB organisierte Unternehmen) mindestens 50 % der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallenden Arbeitnehmer beschäftigten. Eine weise Regelung, der das selbstverständliche demokratische Mehrheitsgebot zugrunde liegt (eine 50:50-Situation, die mehr als unwahrscheinlich ist, einmal ausgenommen). Nur wenn die Branchenmehrheit es ohnehin schon wollte, konnte das BMAS in einem Rechtsakt eigener Art, eben der AVE, die Erstreckung der tarifvertraglichen Regeln auf Tarifaußenseiter anordnen. Es musste also festgestellt werden: Wie viele der angesprochenen Arbeitnehmer sind in HDB/ZDB – Betrieben beschäftigt (sog. Kleine Zahl)? Und wie viele solcher Arbeitnehmer gibt es überhaupt (sog. Große Zahl)? Die AVE-Antragsteller haben es über Jahre unterlassen, hierzu nachprüfbare Zahlen vorzulegen, sondern sich im Wesentlichen auf die Angaben der Soka-Bau (!) bezogen, wonach es immer „passte.“ Eine gewissenhafte Nachprüfung im BMAS hat es nicht gegeben. Es ist nicht einmal ein Versuch bekannt geworden, mit sachverständiger Hilfe (Statistiker) und unter Inanspruchnahme aller möglichen Erkenntnisquellen zu belastbaren Ergebnissen zu kommen, lautet:
- 50% Quorum nach der sog. großen Zahl, wie oben erwähnt
- 50% Quorum nach der kleinen Zahl, wie oben erwähnt
- Minister haben die AVE nicht unterzeichnet
- Keine Statistik erstellt wurde, anhand der sich die Zahlen ergeben bzw. nachprüfen lassen
Dies alles war den Beteiligten wohl bewusst, wie sich nicht zuletzt daran zeigte, dass das BMAS erst mühselig mit gerichtlicher Hilfe dazu gebracht werden musste, die Akten der AVE-Verfahren gemäß dem Informationsfreiheitsgesetz zu öffnen. Als dann die Wirksamkeit der der AVE in einem Verfahren vor der Verwaltungsgerichtsbarkeit („natürlich“ musste auch hier die gerichtliche Zuständigkeit gegen den Widerstand des Ministeriums erst mühselig zeitraubend durch die Instanzen erstritten werden) mit ungewissem Ausgang in Frage stand, wurde es brenzlig. Flugs wurde im Sommer 2015 das lästige sog. Quorum in § 5 TVG gestrichen und gegen den Rat der deutschen Verwaltungsgerichtspräsidenten die Prüfung der Wirksamkeit einer AVE der Arbeitsgerichtsbarkeit übertragen. Damit schien das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe in der althergebrachten Weise gesichert.
Um was geht es bei der Sozialkasse?
Die Soka-Bau besteht aus drei Teilen mit einem Überbau einer AG. Die AG wiederum gehört zu 50% der Gewerkschaft IG Bau und den Arbeitgeberverbänden zu 25% dem ZDB sowie zu 25% dem HDH, die gleichzeitig die Tarifpartner sind. Die den Tarif aushandeln.
Gegründet wurde die Soka als Urlaubskasse (Ulak ca. 15%) mit der Maßgabe, dass die Mitarbeiter im Baugewerbe keinen Urlaub nehmen können, weil diese immer nur für die Bauvorhaben angestellt wurden. Es gab damals noch kein Bundesurlaubsgesetz. Dies ist in der heutigen Zeit nicht mehr der Fall, weil die Unternehmen die Mitarbeiten nicht nur für die Bauvorhaben anstellen und dann wieder entlassen. Es herrscht Fachkräftmangel und führt dazu, dass die Mitarbeiter länger bei den Unternehmen beschäftigt werden.
Das führt zur 2.Säule der Soka-Bau, nämlich der Betriebsrente Bau (3,2%). Die Rente kommt nur in Betracht, wenn der Mitarbeiter mindestens 5 Jahre (60 Monate) bei einem Betrieb beschäftigt war, ab 2004, vorher mussten 10 Jahre (120 Monate) bei einem Unternehmen beschäftigt gewesen sein. Dies widerspricht dem Ulak-Verfahren erheblich! Wer den Mindestzeitraum erfüllt hat bekommt eine monatlichen Rente von ca. 10 €, weil das 2. Kriterium für viele Arbeiter ein Problem, denn sie müssen in den letzten 9 Jahren mindestens 60 Monate bei einem Baubetrieb arbeiten, was viele leider nicht schaffen, weil sie gesundheitlich angeschlagen sind. Die Arbeitslosigkeit wird nur mit 30 Monaten angerechnet, egal wie lange jemand Arbeitslos ist.
Die dritte Säule beinhaltet die Ausbildungsabgabe (1,9%), die als Anreiz dazu führen soll, dass die Betriebe, die ausbilden, einige Monate (12 Monate innerhalb der gesamten Ausbildungszeit) die Ausbildungsvergütung zurück erstattet bekommen. Sicher eine gute Sache, wenn nicht seit Ende der 90ziger Jahre keine Unternehmen des Bauhauptgewerbes herangezogen würden, sondern auch Unternehmen des Ausbaugewerbes, die allerdings keine Rückerstattung bekommen, weil sie nicht dem Bauhauptgewerbe angehören. Zudem werden seit 2015 auch Betriebe ohne Beschäftigte herangezogen eine Abgabe zu entrichten, weil sie eventuell ausgebildete Mitarbeiter einstellen könnten.
Die von den Bauarbeitgebern an die Soka zu zahlenden Beiträge sind nicht gering: Für die gewerblichen Arbeitnehmer (früher Arbeiter genannt) sind es rd. 20 (zwanzig) % der Bruttolohnsumme. Existenzbedrohlich wird die Lage für Arbeitgeber, die aus Unkenntnis die Zahlung versäumt haben: Nicht nur, dass die gesetzliche dreijährige Verjährungsfrist im Tarifvertrag auf 4 Jahre verlängert worden ist und somit die Gefahr droht, für 4 Jahre rückwirkend zahlen zu müssen; es kommt noch eine saftige Verzinsung hinzu: 1 % - pro Monat! Ferner gibt es Hoffnung auf eine teilweise Erstattung (Aufrechnungsgebot) des Eingezahlten erst dann, wenn alle Forderungen der Kasse rückstandslos befriedigt worden sind. Bei allem sollte nicht vergessen werden: Es handelt sich bei der „Soka-Bau“ nicht um eine gesetzliche Sozialkasse, sondern um eine sog. gemeinsame tarifvertragliche Einrichtung. Ihre Aufsichtsgremien sind folgerichtig mit Vertretern der sie tragenden Tarifvertragsparteien beschickt, als da wären: die Industriegewerkschaft Bauen Agrar Umwelt (IG BAU), der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) und der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB). Diese handeln die am Bau geltenden Tarifverträge miteinander aus und beantragen beim BMAS den Ausspruch der AVE. Dass sie bei ihren Tarifverträgen darauf achten, dass es ihrer gemeinsamen Einrichtung gut geht und den Unternehmen, die nicht Mitglied in HDB oder ZDB sein wollen, schlecht, liegt auf der Hand und zeigt sich außer in der brutalen Zinsregelung und der Verlängerung der Verjährungsfrist auch beispielsweise daran, dass es in Prozessen der Soka-Bau keine gütliche Einigung gibt. Und diese Prozesse sind zahlreich: Bei den allein zuständigen (und dadurch für Arbeitgeber, die in beispielsweise Flensburg oder Oberammergau ansässig sind, teuren) Arbeitsgerichten Wiesbaden (für Westdeutschland) und Berlin (für Berlin und vormalige DDR) sind es jährlich 30.000-40.000 Prozesse. Diese sind gewiss zu einem Gutteil auf schlichte Zahlungsunlust beitragspflichtiger Unternehmen zurückzuführen, zu einem sehr großen Teil aber auch darauf, dass die tarifvertraglichen Regelungen hinsichtlich ihres Geltungsbereichs überaus kompliziert sind. Dass das Errichten von Mauern als „Bau“ anzusehen ist, wird man unschwer nachvollziehen können. Ob aber Erdwärmebohrungen als Ausbeutung von Bodenschätzen nicht-gewerbliche Tätigkeiten und damit „soka-frei“ sind oder nicht oder wann nicht, ist schon schwerer zu beantworten. Zum ohnehin schwierigen Verständnis des Tarifvertragswortlauts hinzukommen die ebenso komplizierten Ausnahmen seiner AVE. Denn mit Rücksicht auf konkurrierende Tarifwerke, die keine eigene Sozialkasse geschaffen haben, stellen HDB, ZDB und IG BAU ihre AVE-Anträge beim BMAS mit Einschränkungen (z.B. sinngemäß „ AVE soll nicht gelten, für metallverarbeitende Betriebe mit industrieller Arbeitsweise, die Mitglied im Verband des deutschen Metallgewerbes sind“).
Die Entscheidungen des BAG haben die siegesgewissen Vertreter von HDB, ZDB, IG BAU und BMAS verblüfft. „Überraschungsentscheidung“ riefen sie, erhoben unzulässige Anhörungsrügen, mit denen sie eine neue Verhandlung vor dem Senat erreichen wollten und erwirkten die Verlegung des für Dezember vorgesehenen Folgetermins (auf nunmehr 25.1.2017).
Es war vorhersehbar, dass die baugewerblichen Verbände sich um eine Rettung ihrer Soka bemühen würden; wer will es Verbandsvertretern verdenken, die die Auswirkungen der 6 Jahre alten CGZP-Entscheidung bis heute noch nicht verarbeitet haben. Es erstaunt aber, mit welcher Geschwindigkeit dies nun möglich ist: Schon im Oktober berichten die Lobbyisten über 4 Gespräche im BMAS, davon eines mit der Ministerin persönlich, deren Haus an einer gesetzlichen Lösung arbeite. Hiermit solle nicht etwa die eigene jahrelange Selbstherrlichkeit und Schlampigkeit, sondern die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts „korrigiert“ und die AVE der Sozialkassentarifverträge des Baugewerbes demokratisch legitimiert werden. Hierzu werde das BMAS einen Gesetzentwurf erarbeiten, den dann die Regierungsfraktionen Ins Parlament einbringen sollen, weil das schneller geht als wenn ein Regierungsentwurf Gesetz werden soll. Das sei auch alles keine politische Angelegenheit, sondern eine bloße technische Korrektur.
Wie diese Korrektur nach den Vorstellungen von HDB, ZDB, IG BAU, Soka-Bau und BMAS, Vertreter aller dieser Genannten zusammen saßen, aussehen soll, zeigen zwei Entwürfe: Zum einen soll die AVE in § 5 TVG, der ja erst im Sommer 2015 geändert wurde, nochmals erleichtert werden und schon dann in Frage kommen, wenn (u.a.) „die Sozialpartner an der staatlichen Ordnung mitwirken“ (in dem sie beim BMAS zusammen sitzen und Gesetzentwürfe schmieden; und/oder „gemeinsame Einrichtung in ihrer sozialpolitischen Funktion erhalten und gesichert werden sollen“, obwohl sie sich möglicherweise überlebt haben und sich kein Mensch außer den Verbandslobbyisten für sie interessiert, wie der geringe Organisationsgrad der Arbeiterschaft belegt! (Allein im Elektrohandwerk sind erheblich mehr Arbeitnehmer organisiert als im Baubereich. Zum zweiten liegt der Entwurf eines Sozialkassenverfahrensicherungsgesetzes (SOKASIG) vor, das schon am 15.12. im Parlament behandelt werden soll und in dem es heißt, dass die für allgemeinverbindlich erklärten Bautarifverträge seit 2006 gelten, und zwar (§ 11 des Entwurfs)…“unabhängig davon, ob die Tarifverträge wirksam abgeschlossen wurden.“ Somit sollen rückwirkend und für den Einzelfall „Soka-Bau“ alle Fehler der Tarifvertragsparteien und des Ministeriums vom Parlament geheiligt werden.
Nochmals: Die vom BAG erkannten Fehler sind im BMAS und von den AVE-Antragstellern gemacht worden. Uns ist kein anderer Fall bekannt, in der einen unterlegenen Prozessbeteiligten – und wir alle haben schon Prozesse verloren! – Vom Parlament bescheinigt wurde, alles richtig gemacht zu haben. Ein derartiges auf den Einzelfall „Soka-Bau“ zugeschnittenes Gesetz (über Probleme anderer tarifvertraglicher Einrichtungen ist nichts bekannt) widerspricht auf unerträgliche Weise dem rechtlichen Empfinden und spricht den vielen Beteiligten in den anhängigen Soka-Streitverfahren vor den Gerichten der Arbeitsgerichtsbarkeit in allen Instanzen Hohn. Wir sind der Meinung, dass der Gesetzgeber nicht mit Rückwirkung eine Feststellung gegen die tatsächliche Rechtslage treffen darf.
Daher unsere Anregung an Ihr Haus und an Sie persönlich, Ihre rechtliche Expertise rechtzeitig den parlamentarischen Gremien zur Verfügung zu stellen und warnend Ihre Stimme zu erheben.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Manfred Loose
Verband Sokafrei